Das ist mal eine originelle Idee für eine Gedichtsammlung: Lustige Gedichte von Ringelnatz. Und es kommt noch lustiger, ich habe die Gedichte chronologisch geordnet. Und das Krönchen: Die bekanntesten Gedichte von Ringelnatz sind gleich ganz weggelassen. Falls jetzt noch jemand interessiert ist, dann hier entlang:
Die ersten beiden Gedichte vom Schwefelholz und einem Taschenkrebs nebst Känguru sind noch echte Vorkriegsware, will heißen unter dem Namen Hans Bötticher erschienen. Gedicht Nummer drei ist eine wahre Rarität. Die Fundstellen im Internet dafür lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen; für die Auflage des Gedichtbands, in dem das Gedicht erschienen ist, braucht man nur zwei Hände (10 handschriftliche Exemplare). Mit Balladette folgt ein Ausflug in den Schwarzen Humor. Mannheim ist auch ein recht unbekanntes Stück, aber schön. Und das lustige Gedicht zum Schluss ist mein Geheimfavorit. Sollte man versuchen laut zu lesen oder vorzutragen.
War einmal ein Schwefelholz ...
War einmal ein Schwefelholz,
Das sich mit erhab’nem Stolz
Einen Anarchisten nannte
Und ein ganzes Haus verbrannte.
Dieses war schon ungewöhnlich,
Doch es kannte auch persönlich
Meyers Taschenlexika,
Ganz speziell das Bändchen "A",
Weshalb es sich nach dem Brande
An besagtes Bändchen wandte
Mit den Worten: "Sag, was ist
Eigentlich ein Anarchist?"
(Aus: Hans Bötticher, Die Schnupftabaksdose, München 1912)
Ein Taschenkrebs und ein Känguru ...
Ein Taschenkrebs und ein Känguru,
Die wollten sich ehelichen.
Das Standesamt gab es nicht zu,
Weil beide einander nicht glichen.
Da riefen sie zornig: „Verflucht und verdammt
Sei dieser Bureaukratismus!”
Und hingen sich auf vor dem Standesamt
An einem Türmechanismus.
(Aus: Hans Bötticher, Die Schnupftabaksdose, München 1912)
Spaghetti
Nur eins von tausend Engelein
Stehe mir ausnahmsweise jetzt bei.
Denn die Spaghetti – Schlänglein
Entklitschen immer dicht vorm Mund.
Und das sieht aus wie Schweinerei
Und sticht die ganze Zunge wund.
Und ich bin doch hier feiner
Kaufleute Gast und schaufle schon
Zwei Stunden rum an der Portion
Und sie wird garnicht kleiner.
(Aus: J. Ringelnatz, Taschenkrümel, 1922)
Balladette
Das war die sonst noch ziemlich fesche
Marie, die ihrem Prinzipal
In der Fabrik für Sterbewäsche
Drei schwarze Unterhosen stahl.
Und sandte, als es ruchbar wurde,
Dann das Gestohlene zurück.
Und diese mindestens absurde
Idee gereichte ihr zum Glück.
Der Prinzipal für Sterbewäsche,
Der nicht Karrieren gern verdarb,
Gab ihr so viel verdiente Dresche,
Dass sie ein Kind gebar und starb.
(Aus: J. Ringelnatz, Kuttel Daddeldu oder das schlüpfrige Leid, München 1923)
Mannheim
Schaff mir doch jemand den Schutzmann vom Hals!
Der Kerl schreitet ein.
Ich möchte doch gar nichts weiter, als
Nur laut schrein. Ganz laut schrein.
Der aber schreit: Nein,
Das dürfte nicht sein.
Was war’ nun an meinem Geschrei
Schlimmes dabei?
Wenn ich doch heute so fröhlich bin.
Dafür haben die von der Polizei
Gar keinen Sinn.
Passt auf, ihr Leute, was ich nun
Tue. Ich werde nichts Böses tun.
Wenn ich jetzt laufe,
Läuft der besäbelte Mann
Wie wild hinterher.
Aber ich laufe schneller wie der.
Und werde schrein, was ich nur schreien kann.
Was wissen die Polizein
Vom redlichen Fröhlichsein.
Am Südpol darf jeder Seelöwe schrein
So laut wie er will. –
Schon gut, ich bin ja schon still.
(Aus: J. Ringelnatz, Reisebriefe eines Artisten, Berlin 1927)
Heimatlose
Ich bin fast
Gestorben vor Schreck:
In dem Haus, wo ich zu Gast
War, im Versteck,
Bewegte sich,
Regte sich
Plötzlich hinter einem Brett
In einem Kasten neben dem Klosett,
Ohne Beinchen,
Stumm, fremd und nett
Ein Meerschweinchen.
Sah mich bange an,
Sah mich lange an,
Sann wohl hin und sann her,
Wagte sich
Dann heran
Und fragte mich:
„Wo ist das Meer?”
(Aus: J. Ringelnatz, Allerdings, Berlin 1928)