Wie man Haiku ruiniert

Woll’nSe lernen, wie man Haiku ruiniert? Wunderbar. KommSe näher, kommSe näher. Ich kenn die besten Tricks, und noch besser: Ich verrat sie Ihnen auch.

Die einfachste Methode Haiku zu ruinieren, ist, einfach drei Zeilen mit fünf, sieben und fünf Silben (Wichtig! Sonst weiß keiner, dass es Haiku sind.) mit irgendetwas Beliebigem zu füllen – was Ihnen gerade einfällt. Ihnen fällt nichts ein? Macht nichts, Sie haben ja mich. SchreibenSe etwas über Haiku und Silben oder Haie und Kühe (wegen Hai-Kuh), das kommt immer gut, außer mir kennt keiner diesen Trick. Beispiele: „Fünf Silben, sieben / Silben, fünf Silben. Fertig / sind Haiku-Milben.“ oder „Der Hai, der die Kuh / fraß, legte sich anschließend / in das Hai-Kuh Gras.“

Das sind tolle Dinger – wegen der Reime, kann nicht jeder. Aber ich seh schon, ist Ihnen zu primitiv. Recht hamSe. Wirklich cool, wirklich hot, das ist was anderes.

Haiku besteht aus unzähligen Regeln, die alle nur den Sinn haben, einem den Spass zu verderben. Liegt nicht die wahre Kunst darin, Regeln zu verweigern, Muster zu zerbrechen, Erwartungen zu unterlaufen? Jau, jetzt sindSe auf dem besten Weg zum Haiku-Ruinör.

Aber denkenSe immer daran, schreibenSe drei Zeilen in fünf, sieben und fünf Silben, sonst behaupten einige Schwachköpfe „Das sind gar keine Haiku“, aber bei 5-7-5 können sie nix machen: 5-7-5 is’ Haiku. Also frisch ans Werk, hier sind die besten Tricks:

1
Oft heißt es, Haiku sollen sich mit der Außenwelt beschäftigen, mit dem, was mit den Sinnen wahrnehmbar ist. Das „Ich“ soll möglichst außen vor bleiben. Was für ein Quatsch. Sie und Ihr Innenleben sind doch das Interessanteste, was es gibt. Sie können sogar etwas Natur reinstecken, weil das ja auch immer verlangt wird, z.B. „Regen im Herzen, / doch meine zarte Blume / will nicht erblühen.“ oder „Ich sah die Blumen / der Nacht – und es war mein Herz, / das so schwer wurde.“ Das hat was, oder? Sensibilität, Natur und vor allem zeigenSe Ihr wahres Ich der ganzen Welt.

Noch ein guter Trick ist, ein Haiku nur für Sie und jemanden, den es angeht, zu schreiben: „Heute gegen neun, / wir sehen uns am Orte / unsres Erkennens.“ „Am Orte“ ist ein bisschen altmodisch, aber für 5-7-5 muss man sowas auch mal machen, klingt eh lyrischer. Auf jeden Fall wissen hier zwei Bescheid und was kümmert Sie der Leser? Der weiß jetzt, dass Sie was am Laufen haben und kann sich warme Gedanken machen.

2
Oft heißt es, im Haiku soll man nur auf die Dinge zeigen, nicht sie kommentieren oder erklären. Dass diese Regel Bockmist ist, erkenn’Se auf den ersten Blick. Leser sind nun mal nicht die Hellsten, sonst würden sie’s ja machen wie Sie und Haiku schreiben. Deshalb ist es besser, Ihre Ideen zu erklären. Standard beim Haikuruinieren ist der Abschlusskommentar: „Frischgefallner Schnee / im Lichte der Laternen. / Wunderbare Welt.“ Oder nehmSe Bashos Frosch („Der alte Teich / Ein Frosch springt hinein / Vom Wasser ein Geräusch“). Ist nicht „Der alte Teich / Ein Frosch springt hinein / Das Leben erwacht“ viel besser? Außerdem hat der Kommentar oft den Vorteil, dass man drei Zeilen voll kriegt, weil das, was man beschreibt, nur für zwei Zeilen reicht.

Fortgeschrittene Haiku-Ruinöre greifen neuerdings zur Hamburger-Variante: Eine Zeile Welt wird von zwei Zeilen Kommentar eingepackt, beispielsweise: „Unendlich kostbar / Die glitzernden Tautropfen / Nirgends zu kaufen“.

Eine alte Variante ist, überhaupt keinen Bezug zu einer konkreten Situation zu nehmen, sondern nur einen allgemeinen Kommentar zu schreiben: „Die Natur lieben, / heißt sich selbst lieben – deshalb / geh hinaus zu dir.“ oder „Wenn der Herbst naht, dann / heißt es Abschied nehmen. Sei / bereit für den Tod.“

3
Oft heißt es, man soll im Haiku die Natur nehmen, wie sie ist, nichts hineininterpretieren, schon gar keine menschlichen Sichtweisen. Mal ganz ehrlich nur unter uns: Das ist die bescheuertste Regel. Wie anders als unter dem menschlichen Blickwinkel soll man die Natur betrachten? Oder vom philosophischen Standpunkt aus gesehen, sagte nicht schon Protagoras: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge.“? Also ist die Vermenschlichung der Natur nicht ihre Adelung? Unter diesem Gesichtspunkt ist es geradezu eine Pflicht für einen Haiku-Ruinör, dem Menschlichen in der Natur Geltung zu verschaffen: „Vögel zwitschern, um / die Geliebten zu wecken, / doch Bäume schlafen.“ oder „Blüten lachen in / der Sonne, oben kreist ein / Vogel gelangweilt.“

4
Oft heißt es, man soll im Haiku auf Metaphern, Vergleiche, Wortspiele verzichten, nicht seine sprachlichen Kunstfertigkeiten in den Vordergrund rücken, sondern die Dinge so einfach und klar darstellen, wie sie sind. Klar, ganz klar, diese Regel ist einfach nur dafür da, Ihnen jeden Spass zu vermiesen, Ihnen nicht die Gelegenheit zu geben, zu zeigen, was Sie drauf haben. Die wahre Kunst eines Haiku-Ruinörs besteht darin, unbedeutende Ereignisse zu wahren Feuerwerken der Sprachkunst umzufunktionieren.

Z.B. jemand geht an einer Blumenwiese vorbei, wo ein Schmetterling auf einer roten Blume sitzt. Da passiert nichts, da bleibt nichts hängen. Folglich bleibt einem gar nichts anderes übrig, als der Situation etwas sprachlichen Pfeffer zu geben, um ein Haiku draus zu machen: „Der Admiral sitzt / einsam auf seinem roten / Floß im Blumenmeer.“ Hier zeigt sich die ganze Phantasie des Ruinörs, die vom Leser bewundert werden kann. Die Phantasie des Lesers mit einfachen Texten anzuregen, das sollen andere machen. Weitere Beispiele, wie man mit Metaphern, Vergleichen oder Wortspielen erfolgreich Haiku ruiniert: „Eisig Windfinger / spielen Herbstblätterharfen / in großer Trauer.“ oder „Wie Albtraumbilder: / Wolkenfetzen am Himmel / gleichen Gespenstern.“ oder „Wasserburg am Inn. / Endlich am Ziel. Was noch fehlt, / ist fließend Wasser.“

Es gibt noch viel mehr Tricks, Haiku zu ruinieren, aber die besten kennSe jetzt. Nun könnSe mit Ihren ruinierten Haiku in die weite Webwelt hinausziehen. Ich bin sicher, Sie werden viel Beifall finden.

PS: Ich hoffe, es fühlt sich durch diesen Text niemand angesprochen. Wie ein guter Haiku-Ruinör, der zwar glänzen will, aber sein Haiku nur für sich schreibt, habe ich diesen Text auch nur für mich geschrieben. Lesen ist erlaubt, Bewundern auch, aber bitt’schön, dass hier niemand ins Grübeln kommt.

PS2: Alle Beispiele sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit noch lebenden oder schon verstorbenen Texten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt, auch wenn mir zahlreiche Haiku-Ruinen als Inspiration dienten.