Zwei Jahre Rot-Weiß
 
• Regionalliga 2000/2001
Teil 3: aufgewärmt
 
• Zweite Liga 2004/2005
 
 

 

 

 
2000/2001-Teil 3: aufgewärmt
 
15. RW Essen - VfB Lübeck 2:5
16. Lüneburger SK - RW Essen 3:1
Tabellenstand
Mit Platz 13 ist RWE nur noch zwei Plätze von den Abstiegsrängen entfernt.
 
17. Spieltag: RWE - Union Berlin, 20.11.2000
Meeresrauschen an der Hafenstraße
Die letzten zwei Wochen verliefen bei RWE äußerst stürmisch. Direkt nach dem 2:5-Heimdebakel gegen Lübeck sprach Trainer Berge einigen Spielern ab, überhaupt das RWE-Trikot tragen zu dürfen. Danach sprach er zwei Tage lang gar nicht mehr mit seinen Spielern, doch die trugen das Trikot weiter und zwar zu Grabe mit einer 1:3-Niederlage beim Tabellenletzten Lüneburg. Die 250 mitgereisten RWE-Fans skandierten "Bis auf Berge könnt ihr alle gehen". Berge verabschiedete sich unter Tränen von den Fans, aber nicht von seinen Spielern. Die durften nach der Rückkehr aus Lüneburg noch am Samstag Abend ein Sondertraining absolvieren. Dafür hatten sie am Sonntag frei, bis auf ein Training morgens um sieben und nachmitttags um fünf. Dazwischen lag eine Traineransprache, bei der Berge aus disziplinarischen Gründen zwei Spieler an die Luft setzte.
In der Woche vor dem Spiel gegen Union Berlin brodelte es sowohl in der Presse als auch bei den Fans. Tenor war, dass sich Klaus Berge keine Niederlage gegen Union leisten konnte. Die Fans blieben jedoch pro Berge und kündigten für Freitag abend eine Protestaktion an der Hafenstraße an. Tatsächlich blieb dann der Hardcore-Fanblock K bis zum Anpfiff frei, statt dessen waren dort Transparente zu lesen: Söldner vertreiben - Berge muss bleiben - Wir haben Ehre! Und Ihr? - Ohne Leistung keine Fans. Nach dem Anpfiff waren diese Parolen aber Vergangenheit und die Fans feuerten "ihre" Mannschaft wie gewöhnlich lautstark an.
Wie das Spiel ausgehen würde, stand allerdings schon vorher fest. Ich hatte am Freitag Morgen das Haiku-Orakel befragt, und das Orakel hatte gesagt: Vom Herbststurm / bleibt am Ende nur / das Meeresrauschen. Steht der Herbststurm für die Turbulenzen der letzten Tage beim RWE, dann kann man das Meeresrauschen so verstehen, dass alles so werden würde wie es immer war, dass nach dem Spiel die Dinge nicht viel anders sein würden als vor dem Spiel. Mit anderen Worten: RWE würde kämpfen bis zum Umfallen, RWE würde hinten dicht machen und RWE würde nach vorne nicht viel bringen. Das Spiel würde 0:0 ausgehen. Das Spiel lief dann in Wirklichkeit aber so: RWE kämpfte bis zum Umfallen, RWE machte hinten dicht und RWE brachte nicht viel nach vorne. Das Spiel ging 0:0 aus.
Was das Orakel nicht vorhergesagt hatte, war das völlig Ausbleiben der Union-Fans. Statt ihrer hatten etwa 400 Geschichtsprofessoren den Gästeblock besetzt, ballten die rechte Hand zur Faust, schlugen sie rhythmisch in den Himmel und skandierten "Eisern Union". Zweifellos sollte das eine Erinnerung an das Ahlener Parteiprogramm der Christlich-Demokratischen Union (CDU) kurz nach dem Krieg sein, in dem diese die Verstaatlichung der Eisen- und Stahlindustrie forderte. Was das mit Fußball zu tun hat, versteh ich nicht, aber ich versteh so vieles nicht. Ich versteh nicht, wieso RWE-Fans "Jude" brüllen, ich versteh nicht, wieso RWE-Fans einen Trainer stützen, der mit Kasernenhofmethoden arbeitet und ich versteh nicht, wieso RWE in dieser Saison schon fünf 0:0 zustande gebracht hat. Doch vielleicht ist die Erklärung ganz einfach.
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17. RW Essen - Union Berlin 0:0
18. Wattenscheid 09 - RW Essen 1:2
Tabellenstand
RWE ist Zwölfter mit sechs Siegen, fünf Unentschieden und sechs Niederlagen.
 
19. Spieltag: RWE - Eintracht Braunschweig, 03.12.2000
Per RWE durch die Galaxis
Auf dem Weg durch einen aus der Mode gekommenen Teil der Galaxis ein paar Lichtjahre hinter dem Planeten Maradonna in unmittelbarer Nähe von Heribert, wo bekanntlichen die plattesten Sprüche des Universums dahinvegetieren, findet der Weltraumreisende den Planeten Herberger. Wie jeder ordentliche Planet ist auch dieser Planet rund, ein Tag dauert dort 90 Minuten und das Leben ist hart oder wie die Eingeborenen sagen: "Der nächste Tag ist immer der schwerste".
Der Weltraumhafen AusdreiMeternkeinMöbelwagen auf Herberger ist das Ziel aller Torchancen aus der ganzen Galaxis. In unmittelbarer Nähe an der Straße Zur90.Minute befindet sich eine der wenigen verbliebenen illegalen Spelunken, wo noch 100- und 1000-Prozentige ausgeschenkt werden. Angeblich hat der Wirt, ein Ex-Lattenknaller aus Köln, gute Kontakte zum Polizeichef Toni Glanzparade. Nun, wo es 100- und 1000-prozentige gibt, da sind Torchancen nicht weit. So hat sich Pierre Lattenknallers Spelunke "Die letzte Chance" zu einem beliebten Treffpunkt der intergalaktischen Torchancen entwickelt.
Heute geht es dort hoch her. Das Wochenende auf dem Affenplaneten ist vorbei, da genießen die Torchancen ihre Höchstprozenter mit den üblichen Nebenwirkungen, wie auch eine Redensart aus einer pottähnlichen Gegend auf dem Affenplaneten besagt "Sonne Chanße kommt nie wieda". Die Tür geht auf und unter großem Hallo strömen sieben Torchancen herein. Einer von den Verstolpert-Brüdern an der Bar schreit: "Hey, wo kommt ihr denn noch her?". "Von Rot-Weiß", schreit Ulf AlleinaufsTorzu gutgelaunt zurück. Erstauntes Gemurmel in der Spelunke. Bruno Verstolpert hakt nach: "Rot-Weiß? Da ist doch sonst nie einer von uns". "Stimmt", gibt Ulf AlleinaufsTorzu zurück, "aber man muss auch mal was für die elenden 0:0-Stätten tun." "Recht hast du", sagt der Wirt, "Was wollt ihr trinken? Und dann erzähl mal". Die Torchancen bestellen ihre Getränke, Ulf AlleinaufsTorzu wartet bis auch die letzte plappernde Torchance verstummt ist und dann beginnt er zu erzählen:
"In der ersten Halbzeit haben wir's langsam angehen lassen. Ich hab Ulf Raschke zwei Mal allein zum Tor geschickt, davon hat er sich das ganze Spiel nicht erholt. Leider ist uns kurz vor der Pause ein Missgeschick passiert. Für die Braunschweiger hatten wir in der ersten Halbzeit keine Einsätze vorgesehen, doch Wolli BleibtaufderLiniekleben war zu ungeduldig. Der Ball fegte zwei Meter vorm Kasten am Tor entlang, Wiesner blieb wie immer auf der Linie kleben und unser guter Wolli wurde von einem freistehenden Braunschweiger in die ewigen Tornetze befördert. Der Große Herberger sei seinem Balle gnädig."
Mitleidiges Gemurmel erhebt sich im Schankraum der Spelunke. "In der zweiten Halbzeit haben wir dann richtig Gas gegeben. Mein Kumpel Ulf FreivormTor hat Ulf Raschke noch mal eine Zugabe spendiert, zwischendurch fiel unglücklicherweise das 1:1, aber dann haben die Brüder FreivormTor im Acht-Minuten-Takt den Essenern eine Schote nach der anderen geliefert. Ich glaub, die in Essen haben so viele knackige Torchancen in der ganzen Saison nicht gesehen. Zwischendurch haben wir die Braunschweiger auch noch ein, zwei Mal bedient und wollten dann eigentlich den Abflug machen, aber leider wurden zwei unserer Leute von den Braunschweigern erwischt. Na egal, bei so einem hungrigen Publikum hatten wir viel Spaß. Die haben ihre Mannschaft trotz des 1:3 noch gefeiert. Ich glaub, da fahren wir nächste Woche gegen TB Berlin wieder hin, müssen nur ein bisschen vorsichtiger sein, TB hat eine beschissene Abwehr. Kommt jemand mit?"
Allgemeines Ja-Geschrei füllt die Spelunke, doch als die letzten 1000-prozentigen gekippt sind, kehrt Ruhe ein. Pierre Lattenknaller gibt dem Abräumkommando ein Zeichen. Uli und seine Jungs kennen mit den letzten lebenden Torchancen keine Gnade. Dann zählt Pierre Lattenknaller seine Einnahmen, zweigt einen Teil für Polizeichef Toni Glanzparade ab und hebt sein Glas: "Die nächste Torchance kommt bestimmt. Skol!"
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19. RW Essen - Eintracht Braunschweig 1:3
Tabellenstand
RWE bleibt Zwölfter.
 
20. Spieltag: RWE - TB Berlin, 09.12.2000
War was?
Im Gegensatz zum letzten Spiel gegen Braunschweig nutzte RWE diesmal seine Chancen. Nach 35 Minuten stand's schon 2:0, den Rest schaukelte Essen mit etwas Glück über die Bühne. Die Höhepunkte der zweiten Halbzeit waren das heißeste Pfeifkonzert der Essener Fans in dieser Saison, als für kurze Zeit die Emotionen auf dem Teppich lagen, wie Sabine Töpperwien zu sagen pflegt und der Auftritt von Lothar, dem Schrecken vom Niederrhein, der nach langer Zeit mal wieder eine Einlage als Einpeitscher gab. Und sonst? War was?
Das Spiel gegen TB war das letzte in diesem Jahr, Zeit für einen Rückblick: Die erste Hälfte der Saison hatte ein eindeutiges Muster. Zu Hause wurden die Gäste verspeist, doch auswärts rührte RWE das gegnerische Tor nicht an. Immerhin kam eine kleine Serie von sechs Spielen ungeschlagen zustande, aber schon die torlosen Unentschieden bei Mannschaften wie BVB Amateure oder Fortuna Düsseldorf, die dick im Schlamassel steckten, zeigten, dass es für ganz oben nicht reichen würde.
Der Schnitt kam trotzdem unerwartet. Ausgerechnet zu Hause fing sich Essen ein 0:2 gegen Wilhelmshaven ein und danach war nichts mehr wie zuvor. Eine Pleite folgte der anderen. Auch der erste Auswärtssieg der Saison in Uerdingen brachte nicht die Wende, sondern einen Doppelschlag mit 2:5 zu Hause gegen Lübeck und einem 1:3 auswärts beim Letzten Lüneburg.
Nach diesem Desaster ließ Feldwebel Berge seine Truppe ein paar Runden Strafexerzieren, hielt einige Standpauken und sortierte als abschreckendes Beispiel zwei Spieler aus. Das zeigte im folgenden Spiel gegen den Aufstiegskandidaten Union Berlin Wirkung. Die Mannschaft kämpfte wieder, und glücklicherweise entpuppten sich Spieler wie der Langzeitverletzte Dennis Brinkmann und Jugendspieler Heiner Backhaus, die nur wegen Personalmangels von Anfang an eingesetzt wurden, als Verstärkung.
So wurden aus den letzten vier Spielen noch sieben Punkte geholt und das Jahr geht mit einer Bilanz von sieben Siegen, fünf Unentscheiden und sieben Anderen zuende. Durch den Sieg gegen TB Berlin beträgt der Abstand zu den Abstiegsplätzen acht Punkte. Nach dem bisherigen Saisonverlauf zu urteilen, ist dieses Polster auch bitter nötig, denn zu Hause ist RWE keine Macht mehr und auswärts holte Essen nur in den Ersatzheimspielen Punkte: Acht von neun Auswärtspunkten wurden in den Nachbardörfern Düsseldorf, Dortmund, Krefeld und Wattenscheid geholt, wo 1.500 bis 3.000 RWE-Fans erst gar keine Auswärtsatmosphäre aufkommen ließen. In der Rückrunde fallen diese Möglichkeiten flach, mit Ausnahme vielleicht von den Auftritten in Köln und Münster. Dafür muss Essen aber auch bei den Aufstiegskandidaten Berlin, Lübeck und Braunschweig antreten.
Die gute Nachricht zum Schluss: RWE hat immer noch einen Star. Es ist kein Spieler, es ist nicht der Trainer und auch nicht die Mannschaft. Der Star sind die Fans. Im Schnitt 6.300 unterstützen lautstark einen mittelmäßigen Drittligisten. Doch wie das bei Stars so ist, sie haben ihre Macken. Die Macke des RWE-Stars sind seine braunen Untermieter. Lange Zeit hat man auf Vereinsseite diese Macke ignoriert, doch im Laufe der Saison ist der Verein deutlich geworden. Zuerst versuchte man es mit Appellen - Torwartlegende Frankie Kurth wurde aufgeboten -, dann verhängte RWE Stadionverbote, doch die allseits bekannte Kette beim Torwartabschlag "Arschloch, Wichser usw." beendeten immer noch ein- bis zweihundert Schwachköpfe mit "Jude".
Vor dem Spiel gegen TB Berlin appellierte der Stadionsprecher an die RWE-Fans endlich dagegen etwas zu unternehmen, und tatsächlich wurde den Untermietern mit Pfiffen und Sprechchören der Strom abgedreht. Das ist mit Sicherheit noch nicht das Ende dieser Geschichte, aber ein ermutigendes Zeichen. Denn wichtig beim Umgang mit braunen Untermietern sind nicht die Betroffenheits-Statements von Politikern, wichtig sind nicht die Goodwill-Demos mit Musik, wichtig ist eine klare Sprache, wenn die Braunen laut werden oder auf gut Pöhldeutsch: Wichtig is' auf'm Platz.
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20. RW Essen - TB Berlin 2:0
21. Sachsen Leipzig - RW Essen 0:2
Tabellenstand
RWE steht auf Platz zehn.
 
22. Spieltag: RWE - Erzgebirge Aue, 02.02.2001
Das Wunder in der 27. Minute
Erzgebirge Aue war das Wunderteam der Hinrunde in der Regionalliga Nord. Man konnte sich wirklich nur wundern. Nach 8 Spieltagen stand Aue mit 7 Siegen, 21 Punkten und 11:3 Toren an der Spitze. 7 Punkte Vorsprung vor dem Zweiten. Nach 11 Spieltagen hatte Aue immer noch 21 Punkte, stand immer noch an der Spitze und brachte das Kunststück fertig als Tabellenführer mit 13:15 Toren ein negatives Torverhältnis aufzuweisen. Im Laufe der Saison wurde das Erzgebirge langsam aber sicher durchgereicht, und so trafen in Essen der 10. und 11. der Tabelle vor immerhin 5.500 Zuschauern aufeinander.
Vor dem Spiel verkündete der RWE-Vorstand, dass man den fälligen Lizenzantrag sowohl für die Regionalliga als auch für die 2.Bundesliga stellen würde. Letzteres natürlich nur für alle Fälle, falls wirklich ein Wunder geschähe. Und tatsächlich geschah ein Wunder.
27 Minuten lang spielte RWE auf schneebedeckten Boden wie so oft Bauarbeiterfußball: Hinten Beton mischen und langsam nach vorne baggern. Leider war der gegnerische Strafraum im Bauplan nicht eingezeichnet. 27 Minuten lang hatte Essen keine Torchance, schoss kein Mal aufs Tor und dann passierte es. In der 27. Minute hatte Essen keine Torchance, schoss nicht aufs Tor und trotzdem fiel das 1:0.
Die Chancenauswertung in Prozent wird bekanntlich mit "Tore x 100 / Torchancen" errechnet, also in diesem Spiel 1 x 100 / 0. Geteilt durch 0? Das ist ein typischer Fall von Mathematiklehrerherzstillstand. Geteilt durch 0 geht nicht, gilt nicht, darf nicht sein, und wenn etwas passiert, obwohl es nicht geht, nicht gilt, nicht sein darf, was ist das dann?
Joo, ein Wunder!
Nachdem ein Auer Abwehrspieler die erste Essener Flanke in den Strafraum ins eigene Tor köpfte, bekam RWE etwas mehr Schwung und in der 42. Minute sogar eine Torchance. Mit einer Chance und einem Tor in der ersten Halbzeit war zumindest mathematiklehrerherzstillstandmäßig wieder alles in Butter.
Der Rest ist schnell erzählt. In der 47. Minute machte Wolf nach drei Ecken in Serie das 2:0. Drei Minuten später sicherte Aues Mittelstürmer mit einer gelb-roten Karte das Ergebnis ab. Und obwohl sich Aues Mannschaft und 150 mitgereiste Fans alle Mühe gaben. Gegen das Wunderteam der Rückrunde hatten sie keine Chance.
Ja, so sieht's aus. RWE ist das Wunderteam der Rückrunde. Alle drei Rückrundenspiele wurden mit 2:0 gewonnen. Da können selbst die sogenannten Spitzenteams nicht mithalten. Nach dem Wie und Warum fragt nachher keiner mehr. Das Ergebnis zählt, und Wunder sind in Essen im Eintrittspreis inbegriffen.
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Zwei Jahre Rot-Weiß
 
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Teil 3: aufgewärmt
 
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