Zwei Jahre Rot-Weiß
 
• Regionalliga 2000/2001
 
• Zweite Liga 2004/2005
Teil 3: olle Kamellen
 
 

 

 

 
2004/2005-Teil 3: olle Kamellen
 
Ansichten eines alten Mannes – Das RWE-Interview

Es ist nicht leicht, ein Interview mit RWE zu bekommen. Er sei nun 97 Jahre alt, da hätte er genug geredet in seinem Leben, meinte er, als ich ihn das erste Mal fragte. Doch einen unerschrockenen Blutgrätscher kann das nicht erschüttern. Und so kam es zur folgenden Begegnung, in der RWE frei heraus seine Meinung kund tat.

Hape: Letzter Platz in der zweiten Liga. Woran lag’s?
RWE: Da muss ich klar sagen: wir hatten massig Pech am Stiefel. Im ersten Spiel falscher Keeper im Tor. Kein Vorwurf an Jürgen [Gelsdorf]. Der kann ja nicht hellsehen. Und so eine 1:5-Kiste zu Hause musst du erst mal wegstecken. Das haben die Jungs ganz prima gemacht. Aber dann so Dinger in letzter Minute gegen Frankfurt und Köln. Dann kriegen wir die Verletzungsseuche, und am Schluss war das nur noch Kriechen auf dem Zahnfleisch.

Hape: Hatten Sie nach dem ungefährdeten Aufstieg nicht mit mehr gerechnet?
RWE: In meinem Alter, junger Mann, rechnest du mit gar nichts mehr. Du freust dich, wenn du am Morgen noch mal die Äuglein aufkriegst und nimmst, was der Tag dir bietet.

Hape: Der schlafende Riese, wie Sie oft in der Presse genannt werden, ist also träge geworden?
RWE: Geh mir weg mit diesem Mist. Wenn ich das schon lese: Schlafender Riese. Da rollen sich mir die Fußnägel auf. Diese Zeitungsschmierer sind doch alle zu faul zum Arbeiten. Die nehmen ihr Etikettchen, kleben’s so lange drauf bis sie selber dran glauben und dann können sie nichts anderes mehr.

Hape: Keine Träume von der ersten Liga bei RWE?
RWE: Junger Mann! Ich hab viel erlebt und will Ihnen mal was sagen: Was die Leute Erfolg nennen, das ist eine Braut, auf die du dich nicht verlassen kannst. Sicher, erste Liga wär mal schön. Aber was willst du da? Diese piekfeinen Arenas, wo du nur in Pantöffelchen rein kommst. Ein volles Stadion, wo die Hälfte nur mit ihren Fressalien beschäftigt ist. Das ist nicht meine Welt.
Alle rennen hinter dieser Braut her, aber wissen Sie, was wirklich Erfolg ist? Erfolg ist, wenn du in der Scheiße steckst und die Leute halten zu dir. Da ist es egal, in welcher Liga du spielst. Aber wenn du nur so verwöhnte Pfeifen im Stadion hast, die gleich am Jaulen sind, wenn’s mal nicht läuft, dann kannst du dir allen Erfolg von der Backe schmieren.

Hape: Dann war das Spiel gegen Ahlen Ihr größter Erfolg?
RWE: Das passt mir nicht, wie Sie das sagen. Aber wissen Sie, das war wirklich der Hammer dieses Spiel. Es ging nichts. Nach allen Regeln der Kunst hätten wir uns früher oder später einen eingefangen. Du hättest die Totenglöckchen bimmeln hören, wenn es nicht so laut gewesen wär. Wie das rum ging von Block K nach L nach M, rüber zur Tribüne. Das Stadion war am Kochen. Verdammt noch mal, das tausche ich gegen jede Meisterfeier, wo dir meistens nur Flachköpfe zujubeln. Wir waren auf Deutsch gesagt total am Arsch, und die Leute singen dich da raus. Da musst du weit laufen, um so was woanders zu erleben. Ja. Das nenn ich Erfolg.

Hape: Trotzdem sind Sie sicher dem Erfolg in Punkten gemessen nicht ganz abgeneigt. Wie sieht es mit Verstärkungen für die Rückrunde aus?
RWE: Da weiß ich nicht mehr als Sie, junger Mann. Der Kaluzny von Leverkusen, Gaede aus Gladbach. Hinten muss jetzt dicht sein. Mal sehen, wie die sich machen.

Hape: Immerhin meint es der Spielplan gut mit Ihnen. Vier Heimspiele in den letzten sechs Runden, da kann man noch einen schönen Schlussspurt hinlegen.
RWE: Das hör ich auch immer. Und wenn es noch um was geht, wird Ahlen das fünfte Heimspiel. Aber für mich ist das nur Gesülze. Wenn du glaubst, du hast immer noch alle Trümpfe in der Hand, auch wenn du erst mal nicht so punktest, da bist du ganz schnell schief gewickelt. Wer garantiert dir denn, dass du am Schluss zu Hause immer gewinnst? Keiner. Nee, lass uns gleich mal am Anfang eine kleine Serie hinlegen. Dann wird das auch was.

Hape: Also was denken Sie? Packen Sie das?
RWE: Wenn ich RWO wär, wüsst ich wie die Spiele ausgehen (kichert). Aber im ernst: es kann alles passieren, es ist noch alles drin. Und wenn’s schief geht, haut mich das nicht um. Oder wie meine Alte immer sagte: Scheiße am Stock is’ auch ’ne Blume.

Hape: Vielen Dank für dieses Gespräch.

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18. Erzgebirge Aue – RW Essen 1:1
Tabellenstand
RWE weiter auf Platz 18
 
19. Spieltag RWE - Eintracht Trier, 28.01.2005
Völlig unentschieden

Wenn ein junger Spieler nach langer Verletzungspause eingewechselt wird und kurz vor Schluss für seine Mannschaft in Unterzahl den glücklichen Ausgleich schießt, was tut er dann?

Ali Bilgin, 23, einziger echter Essener im RWE-Kader, spielt seit der A-Jugend für den Verein. Er hat mehrere Anläufe gebraucht, um sich aus der Reservemannschaft in die Erste hochzuspielen. In dieser Saison war er sogar ein Mal Zweitliga-Spieler des Tages im Kicker, doch dann setzte ihn eine Fußverletzung ab Ende Oktober außer Gefecht.

Gegen Trier wird Ali Bilgin in der 70. Minute als Joker eingewechselt. RWE liegt 1:2 zurück, spielt seit der 32. Minute in Unterzahl. Die Mannschaft bemüht sich, ist aber harmlos - bis zur 86. Minute. Dann sticht Ali Bilgin zu. Und was macht er?

Nichts.

Von der Stehtribüne aus ist kein wie auch immer gearteter Jubel zu erkennen. Selbst von seinen Mannschaftskollegen wird er auf dem Weg zurück in die eigene Hälfte nicht weiter behelligt.

Diese Szene ist kennzeichnend für die Situation bei RWE. Ein Tor, das bei der geschilderten Spielsituation normalerweise zu unendlichen Jubelarien führen würde, wird vom Torschützen zur Kenntnis genommen und abgehakt. Ein Punkt zu Hause gegen einen möglichen Abstiegskonkurrenten ist als Tabellenletzter zu wenig.

Mit den ersten beiden Spielen im neuen Jahr setzt RWE den Pünktchen-für-Pünktchen-Trend aus der Hinrunde fort. Neun Unentschieden in 19 Spielen sind jedoch bei der geltenden Drei-Punkte-Regel tödlich, wenn nur drei Siege zu Buche stehen.

Trotzdem ist die Zukunft von RWE noch völlig unentschieden. Auf der Minusseite stehen: Obwohl man sich defensiv mit Erstligaspielern verstärkt hat, ist es immer noch erschreckend leicht gegen RWE Tore zu erzielen. Durch den Einbau der vielen neuen Defensivspieler leidet auch das Offensivspiel. Wie schon in der Hinrunde ist RWE nicht in der Lage gegen schlagbare Gegner ausreichend Druck aufzubauen.

Auf der Plusseite stehen: Noch hat die Mannschaft das Glück nicht verlassen. RWE hat im zweiten Heimspiel hintereinander wie ein Tabellenletzter gespielt und trotzdem vier Punkte geholt. Ali Bilgin und Erwin Koen, die schon für den Aufstieg enorm wichtig waren, haben sich nach ihren Einwechselungen gegen Trier von ihrer besseren Seite gezeigt. Wenn sie jetzt die Kurve kriegen, könnte das den Umschwung bedeuten.

Fazit: Sollte RWE demnächst in Erfurt oder gegen Duisburg gewinnen, dann ist der Mannschaft eine Leistungsexplosion zuzutrauen. Reicht es innnerhalb der nächsten beiden Spielen nicht zum Sieg, ist die große Zeit der Durchhalteparolen und Verschwörungstheorien gekommen. Aber davon ist noch niemand nicht abgestiegen.

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19. RW Essen - Eintracht Trier 2:2
20. RW Erfurt – RW Essen 1:1
Tabellenstand
RWE ist 17.
 
21. Spieltag: RWE - MSV Duisburg, 13.02.2005
Jürgen Gelsdorf hat Probleme

Was ist der Unterschied zwischen einem Trainer, der alles richtig gemacht hat und einem Trainer, den man am liebsten vom Hof jagen würde?

Der Unterschied beträgt exakt ein Tor, geschossen von Sven Lintjens in der 78. Minute gegen den MSV Duisburg. Eingewechselt wurde er eine Minute zuvor. Jürgen Gelsdorf hat nicht nur alles richtig gemacht, er hat sogar sein goldenes Händchen gezeigt. Das hätte er jedoch besser nicht tun sollen.

Ehrlich gesagt waren es nicht allzuviele, die vor dem Spiel an des Trainers Stuhl rüttelten. Aber geunkt wurde schon, dass bald Fortschritte zu sehen sein müssten, sonst ... Eigentlich hat Jürgen Gelsdorf einen guten Stand bei den RWE-Fans. Wie bei jeder seiner Trainerstationen wird ihm bescheinigt, alles für den Verein zu geben.

Am augenfälligsten ist sein Engagement beim Spiel selbst. Nach einer Schiedsrichterfehlentscheidung lassen seine Pogotänze am Spielfeldrand jeden Punk vor Neid erblassen. Die Schallwellen, die er dabei herauslässt, sind derart gewaltig, dass sie in China Verkehrsunfälle verursachen.

Gesund kann das nicht sein. Das sehen auch die Versicherungsgesellschaften so. Jürgen Gelsdorf ist von einer zur anderen gerannt. Keine will ihm eine Lebensversicherung verkaufen. „Zu großes Risiko“, sagen die Versicherungen und zeigen ihm Nahaufnahmen von Schreiattacken, bei denen seine Lungenflügel aus dem Hals herausragen. „Das ist nicht gesund, eine Lungenentzündung ist dabei vorprogrammiert“, belehren ihn die Versicherungsvertreter.

Und dann ist da noch Herr Hua aus Shanghai. Jürgen Gelsdorfs Schallattacken verursachen nicht irgendwo in China Verkehrsunfälle. Nein, sie treffen nur Shanghai und aus irgendeinem chaostheoretischen Grund treffen sie nur Herrn Hua. Mal ist es eine Mülltonne, die schallwellengepeitscht in seiner Frontscheibe landet, mal ein entgegenkommendes Fahrzeug, das plötzlich auf seine Fahrbahn gedrückt wird.

Jahrelang verstand Herr Hua die Welt nicht mehr. Warum traf das Schicksal immer nur ihn? Schließlich enthüllte ihm eine Wahrsagerin aus einem kleinen Dorf nordöstlich von Shanghai die schreckliche Wahrheit.

Am Sonntag saß Herr Hua zum ersten Mal auf der Tribüne im Georg-Melches-Stadion und überzeugte sich selbst von den Naturgewalten, die Jürgen Gelsdorf am Spielfeldrand entfacht. Verzweifelt grübelte Herr Hua, wie er sein Schicksal wenden könnte. Doch als Jürgen Gelsdorf sein goldenes Händchen zeigte, griff Herr Hua erlöst lächelnd zum Handy. Wo die Hand golden ist, muss es doch unterm Trainingsanzug noch viel mehr geben. Für diesen Tipp würden ihm die chinesischen Triaden auf ewig dankbar sein.

Wer also gedacht hat, die Sonne sei diesen Sonntag über Essen aufgegangen - den Tabellenführer geschlagen, endlich auf einem Nichtabstiegsplatz -, der verkennt völlig die wahre Situation. Jürgen Gelsdorf hat echte Probleme: Keine Lebensversicherung und ein Triadenkillerkommando ist unterwegs.

Früher oder später wird sich das auf die Spieltaktik auswirken. Soll sich niemand wundern, wenn er mit einer 10er-Abwehrkette vor der eigenen Trainerbank spielen lässt. Und wer soll dann die Tore schießen? Und wo sollen die dringend benötigten Dreier herkommen? Nein, es sieht gar nicht gut aus für RWE im Abstiegskampf. Und ein rechtzeitiges Einschreiten des DFB ist wie immer nicht zu erwarten.

PS: Ich weiß, die Enthüllung, dass chinesische Triaden in den Abstiegskampf der Zweiten Liga eingreifen werden, klingt unglaublich. Aber wer hätte vor einem Monat geglaubt, dass eine kroatische Wettmaffia erfolgreich deutsche Schiedsrichter besticht?

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21. RW Essen - MSV Duisburg 1:0
22. Energie Cottbus – RW Essen 0:0
Tabellenstand
RWE schnuppert mal Nichtabstiegsluft auf Platz 14
 
23. Spieltag: RWE – Wacker Burghausen, 25.02.2005

Das Ende der Welt

Mein Friseur griff zum Rasiermesser, lächelte und sagte: „Das ist wohl Ihr letzter Haarschnitt.“ Dann setzte er das Messer an.

Dieser Tag, an dem RWE gegen Burghausen spielte, hatte schon so beschissen angefangen. Nein, stimmt nicht, er hatte überhaupt nicht angefangen. Der Tag davor wollte einfach nicht enden. Vollmond. Ich konnte nicht schlafen. Um drei Uhr morgens gab ich auf und schaltete den Fernseher ein.

Ich zappte hier, ich zappte dort. Plötzlich flimmerten Bilder aus dem Georg-Melches-Stadion durch den dunklen Raum. Burghausener Hooligans lieferten sich schwere Gefechte mit dem Bundesgrenzschutz. Hubschrauber transportierten Tote und Verletzte ab. Und der Kommentator betete ständig: „Das hat mit Fußball nichts mehr zu tun.“

Merkwürdigerweise dachte ich als erstes darüber nach, wie denn die Burghools ihre Panzerabwehrkanonen durch die Eingangskontrolle geschmuggelt hatten. Wer hatte da gepennt? Erst als zweites fiel mir ein, dass das Spiel noch gar nicht stattgefunden hatte. Wo kamen dann die Bilder her? Und erst als drittes wurde mir klar, dass ich überhaupt keinen Fernseher habe. Aber da war ich schon wach. Dieser bekloppte Vollmond.

Auch das Spiel gegen Burghausen glich einem schlechten Traum - einem Traum von vergangenen Regionalligazeiten. Torgefährlich wurde RWE fast nur bei Standards. Vergessen war das stark an Fußball erinnernde Kurzpassspiel der Aufstiegsrückrunde. Statt dessen dominierten planlos nach vorn geschlagene Bälle der Sorte lang und schmutzig. Und auch das hühnerhafte Anrennen nach dem 1:2-Rückstand war ein alter Bekannter.

Schon die letzten Wochen waren wie bereits erlebt. Ausgiebig wurden Zu-Null-Spiele hervorgehoben und gefeiert, wie lange RWE nicht mehr verloren hatte. Dass drei Remis genauso wirken wie ein Sieg und zwei Niederlagen, Punkte bei einem Unentschieden nicht mehr geteilt, sondern größtenteils verloren gehen, war wieder erfolgreich verdrängt worden. Die alte Essener Krankheit.

Doch so eine 1:2-Niederlage gegen Burghausen ist nichts gegen das Ende der Welt. Und das Ende der Welt ist nichts gegen die Ankündigung meines Friseurs, dass er seinen Laden dicht macht. Denn wenn die Welt ihren Laden schließt, muss man sich keine Sorgen mehr um seinen Haarschnitt machen. Doch wenn der eigene Friseur zumacht, dann wirft das existentielle Probleme auf.

Schließlich will ich nicht so enden wie die paar Gestalten ganz oben im Block K. Die haben sich aus lauter Verzweifelung - weil sie keinen passenden Friseur fanden - die Köpfe kahl geschoren. Ihrem natürlichen Schutzschild beraubt, drangen winzigen Parasiten mit dem typischen Schnauzer in ihre Schädel ein, die sie dazu zwingen, Naziparolen zu lallen. Dann doch lieber das Ende der Welt, oder kennt hier jemand zufällig einen schweigsamen und preiswerten Herrenfriseur in Essen?

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Zwei Jahre Rot-Weiß
 
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Teil 3: olle Kamellen