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11. Reste-Essen
Na, wie war das? Sollte jemand unter uns sein
kümmerliches Dasein fristen, dem das Kapitel gerade besonders
gut gefallen hat („Endlich mal was Vernünftiges“),
dann darf er jetzt seinen Sargdeckel schließen. Zur Abwechslung
ist so ein Geplätscher vielleicht – großes, dickes VIELLEICHT
– ein Kapitel lang zu ertragen, aber in diesem Stil wurden ganze
Bücher geschrieben, und das ist verdammt hart.
Hab ich Stil gesagt? Nee, mit Stil hat dieses
Zeug wirklich nichts zu tun. Im Prinzip ist die Sache ganz einfach:
Der Autor bedient sich aus einem großen Fundus von Sprachformeln
und Standardsprüchen, stelzt ein bisschen rum und verbreitet
Wohlwollen bis zum Abwinken. Das geht schnell und kostet nix. Hat
er zufällig mal einen originellen (originellen?) sprachlichen
Einfall, dann wird der mit dem Gänsefüßchen-Holzhammer
erschlagen. Am schlimmsten daran ist, dass man sich an diesen altväterlichen
Ton in Schachlehrbüchern gewöhnt hat und gar nichts anderes
mehr erwartet. Aber ich hör besser auf hier rumzuheulen. Es
gibt Schlimmeres, viel Schlimmeres, jeden Tag, jede Stunde, jede
Minute, ohne Ende.
Dieses Kapitel ist das letzte, und so soll
es auch sein. Schon der gute, alte, inzwischen lange kalte Sepp
Herberger sagte: „Elf Kapitel sollt ihr sein.“ Hier ist
alles versammelt, was kein eigenes Kapitel lohnte oder irgendwo
nirgendwo reinpasste. Trotzdem möchte ich den werten Leser
darauf aufmerksam machen, dass er keineswegs mit schäbigen
Resten abgespeist wird, sondern dass ihn ein wahres „Festmahl“
erwar... SCHEISSE ich hab mich angesteckt wo sind meine Kopfhörer ich brauch ’ne Dröhnung aber schnell es ist so weit Letzte Warnung Last
exit to Bookli Steigen Sie aus solange es noch geht: It's time for
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Dia 119:
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Sorry, aber genau
das hab ich jetzt gebraucht. So ein leeres Diagramm beruhigt ungemein.
Man könnte glatt in Versuchung kommen, ein paar philosophische
Betrachtungen über die Symbolik eines leeren Schachbretts anzustellen.
HALT! Nicht wegschmeißen das Buch. Ich tu’s nicht. Versprochen.
Stadt Essen geht’s nu mit den Besten von den Resten los.
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Dia 120:
Kieninger - Herrmann
Bad Oeynhausen 1940
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„Unser tägliches
Remis gib uns heute“, ist der morgendliche Singsang aller Friedenspfeifen.
Also Dauerschach mit 1.Da5-c7+ Ke7-e8 2.Dc7-c8+? Denkste.
Die Fesselung ist immer und überall: 2. ... Ke8-e7 3.Td4xd5.
Möchte jemand mit dem e-Bauern zurückschlagen? Fobadi,
Fobada. Auch 3. ... Dh3-h1+ 4.Td5-d1 bringt Totenschein statt Sonnenschein.
Herrmann der Schwarze ging daher von hinnen. Von hinnen? Das reimt
sich auf von Sinnen, und was sich reimt, das ist gut, sagte schon
der kleinste, rothaarige Philosoph aller Zeiten.
Im ersten Beispiel ermöglichte die Fesselung
einen überraschenden Schlag mit dem Matthammer, beim nächsten
wird ebenfalls ein Mattmotiv verwirklicht, doch das wirklich fesselnde
Thema ist der Zugzwang.
Äh, Zugzwang:
Zugzwang ist keine Maßnahme zur Sanierung
der Bundesbahn, sondern exactement jene Situation, in der ein Spieler
keinen Zug mehr machen kann, ohne sich selbst zu schaden. Obwohl
sich das Wort in allen Sprachen durchgesetzt hat – auch wenn die
Aussprache etwas variiert, so empfahl ein britischer Autor seinen
Lesern zwecks Vermeidung von Zungenbrüchen, Zugzwang wie Volkswagen
auszusprechen –, ist die Bezeichnung rein sprachlogisch betrachtet
nicht ganz korrekt, was sich ganz leicht durch einen grammatikalischen
Dreisatz beweisen lässt:
· Hat jemand keine Arbeit mehr, ist
er arbeitslos.
· Hat jemand keine Hoffnung mehr,
ist er hoffnungslos.
· Hat jemand keinen Zug mehr, ist
er zugslos.
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Dia 121:
Sachrow - Schijanowski
UdSSR 1963
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Die Fesselung des Ld2 ist zweifelslos so kurzfristig wie das Gedächtnis
eines Politikers. 1. ... Ta2xd2 2.Td1xd2 Td8-a8 stellt eine
ziemlich miese Art der Gedächtnisauffrischung dar, Medienhetze
nennt man so etwas. Ein Politiker gibt in einem solchen Fall eine
Pressekonferenz, die er mit seinem Ehrenwort schmückt. Diese
passive Verteidigung reicht hier allerdings nicht: 3.Tb7-b1 Ta8-a2
4.Tb1-d1. Nach 4.h7-h5 ist Weiß zugslos. Andrerseits muss
bei 3.Tb7-b2 Ta8-a1+ 4.Ke1-f2 Lc3-d4+ 5.Kf2-g2 der Ministerpräsident
die Sache allein ausbaden: 5. ... Ta1-g1 matt. Sacharow tat daher
das einzig richtige. Er machte den Weg für Neuwahlen frei.
Ich schätze die Zeit ist reif, sich mit
einem der ewigen Mysterien des Schachspiels zu befassen. Gemeint
ist der Transvestitismus auf offenem Brett, denn angeblich soll jeder
Bauer einen Minirock im Tornister tragen. Ich hab das anhand einer
repräsentativen Stichprobe (mein Schachspiel) überprüft,
doch das Ergebnis ist nicht nur nicht sehr ermutigend, es ist kataströphst.
Von den 16 Bauern sind drei ganz ohne Tornister
angetreten, dafür lief einer von ihnen mit ’ner Ratte auf der
Schulter rum. Vier hatten Stullen eingepackt, zwei was zu lesen
und einer ein riesiges, rundes, gelbes, stinkendes Etwas, das war
der berühmte Isolani. Zwei weitere entpuppten sich als Hooligans
mit mehr Folterwerkzeugen in den Tornistern als ein Großinquisitor
auf einer Gottwill-Tour. Von den restlichen sieben hatte einer ein
Ding im Tornister, das er als Marschallstab bezeichnete. Ich weiß
zwar nicht, was genau ein Marschallstab ist, doch die Form dieses
Dings kam mir irgendwie bekannt vor. Mehr sag ich dazu nicht, denn
dieses Buch soll sauber bleiben. Schließlich fand ich bei
zweien genug Hochprozentiges, um 20 stockbesoffene Autofahrer auf
die Menschheit loszulassen. Immerhin hatten drei Bauern Strickzeug
dabei, was Mann noch halbwegs gelten lassen kann, auch wenn eine
kleine Minderheit der Leser mit einer verlängerten Endung mir
bei nächster Gelegenheit dieses Buch um die Ohren knallt, und
tatsächlich nur ein einziger (in Zahlen 1) war mit dem vorgeschriebenen
Minirock im Tornister ausgerüstet. Ich hab’s ja gesagt: Ka-ta-ströphst.
In diesem Sinne geht’s auch gleich weiter.
Es folgt eine Umwandlungskombi jenes Mannes, der über 20 Jahre
für seine Wiederauferstehung gebraucht hat. Andere schaffen
das in drei Tagen.
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Dia 122:
Fischer - Euwe
Leipzig 1960
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Über Bobby Fischer gibt es wahrscheinlich mehr Legenden als
über das Ungeheuer von Loch Ness, und ich werd den Teufel tun,
Sie hier mit einer weiteren zu belästigen. Nur soviel: Natürlich
hat ihm auch in dieser Partie jemand (ein Außerirdischer?)
die Züge vorgesagt.
In dieser Stellung wimmelt es von Möglichkeiten,
bei der Umwandlung des a-Bauern rumzukaspern. Für Fischer gab
es jedoch eine erschreckend einfache Lösung: 1.Tb5-b7 Lg7-d4
2.Tb7-c7+ Kc4-d3 3.Tc7xc3 Kd3xc3. So weit wäre Fischer
vielleicht auch ohne Vorsagen gekommen, jetzt spendierte er aber
statt dem langweiligen 4.a6-a7 den Herzaussetzerzug 4.Lb8-e5.
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Dia 123:
Wenzel - Longwitz
Lübeck 1989
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Diese Kombi verläuft
wie die Geschichte der ersten Mondlandung. Zunächst verpulverte
die NASA jede Menge Moneten 1.Dd5xb7 Dd7xb7 2.Tb6xb7 Tf7xb7,
dann ging APOLLO Nummer was-weiß-ich-wieviel endlich in die
Luft 3.Tc1-c8+ Lg7-f8, flog durch den Wohnraum zum Mond 4.Ld2-h6
Tb7-f7, und der Rest war nur noch eine Kleinigkeit, wie Louis
Armstrong zurecht bemerkte, als er seinen berühmten Ausspruch
„Dies ist eine kleine Puste für mich, aber ein großer
Pustekuchen für die Menschheit“ durchs All knallte:
5.d6-d7.
Wenn mich nicht alles täuscht, dann
waren es 98,73% – es könnten auch 89,37% gewesen sein, aber
wahrscheinlich waren es eher 98,73 als 89,73%, von daher böte
sich die Angabe 97,38% als korrekter an, ich meine auf jeden Fall,
dass es fast alle waren, doch vielleicht täuscht die Perspektive
etwas, und es waren nur 93,87%, also nicht fast alle, sondern beinahe
fast alle, ich bin eigentlich fast beinahe der Überzeugung,
dass es mehr als 93,87 aber weniger als 98,73% waren, d.h.
hundertprozentig sicher bin ich da nicht, mehr so neunzigprozentig,
doch auch eine fünfundneunzigprozentige Sicherheit könnte
ich vertreten, da würde ich mich jetzt nicht hundertprozentig
festlegen wollen, eher zu 90% könnte ich mich festlegen, dass
ich zu 90 bis 95% sicher bin, dass zwischen 93,87 und 98,73% oder
nein doch nicht; es waren jedenfalls ziemlich viele, aber nicht
alle – der bisher gezeigten Fesselungskombis, die von der angreifenden
Seite aus durchgeführt wurden.
Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit soll
nun wieder gutgemacht werden. Zu diesem Behufe (Yeah!) sind sage
und schreibe 100%, ich wiederhole 100% (in Zahlen 100) der nächsten
zwei Beispiele den Fesselungen im ehrenvollen Dienste der Verteidigung
gewidmet. Es gibt also noch Gerechtigkeit auf der Welt. Fragt sich
nur auf welcher, auf der ersten oder dritten? Und wenn ja, was kost
der Spass?
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Dia 124:
Pilnik - Reshewsky
USA 1942
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„Ich bin patt, da bisse platt oder watt?“, war Pilniks
Kommentar zu 1.Df8-f2. Solch unhöfliche Kommentare sind
heutzutage Gottseikrank, ich hört sogar er wäre tot, bei
der Fahne von ’nem Punk, dann ist die Welt in Not, nicht mehr drin.
Punkt 8.1.2 der FIDE-Regeln schreibt für derartige Bescheißerchenzüge
zwingend den Kommentar "Düdeldüdeldüdel"
vor. Ein Spekulatius, wer an Mäuse dabei denkt, doch der Verdacht
liegt nah und nicht sehr fern, hängt an die Rah die hohen Herrn,
dass diese Regel einen Kniefall vor den Produzenten vor fritzigen Großmötorchens
und ihrem Geld darstellt.
Hab ich eigentlich schon erwähnt, wie
toll ich es finde, wenn Schachbuchautoren zur Belustigung der geneigten
Leserschaft zu komödiantischen Versen greifen? Kein Wunder,
dass die Leserschaft geneigt ist. Beim Kotzen sollte man sich immer
möglichst weit vorbeugen.
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Dia 125:
Wahls - R. Mainka
Dortmund 1989
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1.Dd3-g3.
„Is’ doch alles supergut, nä?!“ (Arno Steffen)
Wirklich es ist: 1. ... Se4xg3 2.f2xg3 wäre
das fesselnde Ende eines Angriffs, für den ein Paar Türme
in Zahlung gegeben wurden. Als Romuald Mainka 1... Df4-f7 zog, fühlte
er sich bestimmt an Kaiser Augustusus berühmten Aufschrei „Varus,
gib mir meine Sandalen wieder“ erinnert, den dieser anlässlich
der Nachrichten vom beschissenen Ausgang der Schlacht im Teutoburger
Wald losließ. Seine Legionen mit Sandalen auszustatten hatte
ihn wahrlich ein Vermögen gekostet, und obwohl in jede Sandale
„Nach Schlachtung bitte zurück. Gebühr zahlt Empfänger“
eingeschnitzt war, kam niemals ein Schnürchen in Rom an, denn
diese blöden Barbaren konnten ja nicht lesen. Mainka wäre
schon zufrieden gewesen, wenn er wenigstens ein Paar Qualitäten
in seinem Spiel wiedergefunden hätte, doch nixo. Einige Züge
später sah er’s auch ein. „Das ganze Leben ist ein B'schiss“,
waren seinen letzten, hitverdächtigen Worte.
Themawechsel: Nach diesem siegreichen Sieg
der Gerechtigkeit folgt nun eine Sowohl-als-auch-Kombi.
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Dia 126:
Balaschow - Stean
Teesside 1974
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Eine Sowohl-als-auch-Kombi hat in gewisser (in Zahlen: einer) Hinsicht
Ähnlichkeiten mit einem Bikini: Zwei Teile, sonst nix. Der
Sowohl-Teil besteht aus einer hausgemachten Kino-Kombi: 1. ...
Sg4xe3 2.f2xe3 Lh6xe3+ 3.Kd2-c2. Auch bei 3.Kd2xe3 Dc7xc3+ 4.Db3xc3
Tc8xc3+ bleibt Weiß der getürmte, da ihm nach 5. ...
Tc3xa3 zwei Milchbubis fehlen.
Im Als-auch-Teil wird gemartert bis zum Abwinken:
3. ... Le3xd4 4.La3-b2 Ld4xc3 5.Lb2xc3 (oder 5.Db3xc3 Dc7-d7,
8, 9, 10, aus) d5-d4.
Natürlich ist die Bezeichnung Sowohl-als-auch-Kombi
für eine Kombination, bei der in einem Flutsch eine Fesselung
sowohl gebaut als auch ausgemartert wird, nicht sehr elegant. Etwas
besser hört sich Bikini-Kombi an, aber man kann nicht alles,
was nur zwei Teile hat, mit Bikini titulieren. Schließlich
käme auch niemand auf den Gedanken, die weltberühmte CDU/CSU-Fraktion
im Bundestag als Bikini-Fraktion zu bezeichnen. Auf den richtigen
Zeh tritt die gedankliche Verbindung von Kino und Marter, so gesehen
wird sich der Begriff Wim-Wenders-Kombi zweifellos durchsetzen.
Nach dieser wunderbaren Po-Ente kommt es
nun ganz dicke. Moderne Lyrik ist angesagt. Ich weiß, das
ist ein schwerer Schlag, aber da müssen Sie durch. Damit es
nicht ganz so grausam wird, hab ich E.T. und Bean Twort mit eingebaut.
E.T. kennt sicher jeder. Das ist der Typ mit dem Leuchtkäfer
im Finger und der Vorliebe für teure Ferngespräche. Wer
Bean Twort ist, weiß ich allerdings selbst nicht. Hört
sich irgendwie wie irgendein Held aus einem Science-Fiction-Comic
an. Das Gedicht zur nächsten Kombi trägt den Titel – und
es trägt sehr schwer daran – „Das Rettungslos“. Es
geht so:
Das Schach Das
mit einem Schach
Bean Twort
E.T.
WÜRDE! WÜRDE!
Mit einem Schach
Bean Twort
E.T.
Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die
Diabeilage, oder fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
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Dia 127:
Dechkanow - Beljawski
UdSSR 1981
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Dechkanow dachte nach. Er versuchte es zumindest, doch seine Konzentration
flatterte wie ein Küken bei der ersten Flugstunde. Alles störte
ihn: Die Stille im Saal, das Ticken der Uhr, die Zufriedenheit seines
Gegners, der kleine Junge, der neben dem Brett stand, und dessen
Blick er fast schon körperlich fühlen konnte. Einfach
alles.
Natürlich waren das nur vorgeschobene
Gründe für seine kükenhafte Konzentration. Die eigentliche
Ursache bestand in der beschissenen Lage auf dem Brett. Weiß
kann wegen der Fesselung vor dem Feld f1 (Jaaa!) Damentausch nicht
mehr vermeiden, und mit einer nackten Minusqualle ist das Spielen
gegen Beljawski nicht sehr spaßig.
Während Dechkanow in Gedanken noch ein
bisschen rumfluchte, schweifte sein Blick einmal ganz kurz nach
links ab. Obwohl der kleine Junge blitzschnell wegguckte, setzte
sich das Bild der fragenden Kinderaugen in Dechkanow fest. „Oh,
Mann“, dachte er, „selbst kleine Kinder merken, dass hier nichts
mehr zu machen ist. Dabei hat die Chose zwischendurch so gut ausgesehen.“
Dechkanow schwamm noch ein paar Runden im Selbstmitleid, dann stellte
er die Uhr ab und drückte Beljawski schweigend die Hand.
„Ja, da geht wohl nichts mehr“,
meinte dieser. Dechkanow murmelte irgendetwas Zustimmendes, unterschrieb
die Partieformulare und ward nicht mehr gesehen. Selbst zum Figurenaufbauen
hatte er keine Zeit mehr.
Beljawski störte das nicht im geringsten.
Er packte seine Siebensachen zusammen und schaute sich zufrieden
im Turniersaal um. Dabei bemerkte auch er den kleinen Jungen, der
jetzt intensiv auf das Brett starrte.
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Dia 127
noc hmal zum Mitgucken:
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„Na, mein Kleiner“, wandte sich
Beljawski gutgelaunt an ihn, „weißt du, warum Weiß
aufgegeben hat?“
Stumm, nicht den Blick vom Brett hebend,
schüttelte der kleine Junge den Kopf. Beljawski demonstrierte
ihm kurz die Sache mit der Fesselung, doch erntete er keine zustimmende
Reaktion.
„Nicht einverstanden?“, fragte er
lächelnd.
Der kleine Junge riskierte einen schnellen
Blick zu ihm hoch, dann starrte er wieder aufs Brett. „Warum
gibt Weiß nicht Schach?“
„Du meinst 1.g3-g4+? Ganz einfach, weil
das Schach mit einem Schach beantwortet würde 1. ... f5xg4+,
und würde dieses Schach wieder mit einem Schach beantwortet
2.Se5xg4+, dann schlage ich einfach die Dame.“
„Und der König?“
„Welcher ... ups, was ist das?“
Beljawski fielen die Augen aus dem Kopf. Flink half ihm der kleine
Junge, sie wieder einzusetzen. Dann schauten sich die beiden die
Stellung noch mal gründlich an.
„2. ... Da6xb5 3.Sg4-f6 ist tatsächlich
matt“, dachte Beljawski laut, „aber ich muss die
Dame ja nicht nehmen. 2. ... g6-g5. Ja, so geht das ... nee, so
geht das auch kaputt. Einfach 3.Db5-e8+ Da6-g6 4.Sg4-f6 matt.“
Er schaute den kleinen Jungen an. Der kleine
Junge schaute ihn an.
„Vielleicht kann man ja noch mit 2.
... Tc2-c5 trixen“, sagte der Junge schließlich.
„Interessant“, meinte Beljawski
und staunte so viele Bauklötzchen, dass man die Golden-Gate-Bridge
damit hätte nachbauen können. „Aber nein. Nach 3.Sg4-f6+
Da6xf6 4.Db5-e2 ist auch matt.“
„Da hast du aber Glück gehabt,
Onkel Belja.“
„Ja, das hab ich wohl“, stimmte
Beljawski zu. „Wie heißt du eigentlich kleiner, großer
Mann?“
„Bobby“, sagte der Kleine. „Ich
muss jetzt aber gehen. Meine Mama sucht mich bestimmt schon.
Tschüss, Onkel Belja.“
„Tschüss, Bobby.“
In Gedanken versunken sah Beljawski dem Jungen
nach. „Bobby“, dachte er, „Bobby Fischer oder was?“ Beljawski musste
grinsen. „Das wär ’n Ding.“
Zwei Tage später war in einer jugoslawischen
Tageszeitung zu lesen, dass Bobby Fischer bei einem Schachturnier
in der UdSSR gesichtet worden wäre.
So geht das.
Eigentlich könnte ich hier Schluss machen.
Besser wird’s bestimmt nicht mehr. Nur ich hab noch ein Dia und
eine letzte lehrreiche Erkenntnis über. Die zwei möchte
ich nicht enttäuschen, nachdem sie so lange auf ihren Auftritt
warten mussten. Deshalb nicht lange rumgequatscht, hier kommt sie,
die wundervolle, einzigartige, äußerst charmante lehrreiche
Erkenntnis, die letzte: Es gibt nichts Unwichtigeres als eine Fesselung. |
Dia 128:
Janosevic - Bronstein
Sarejewo 1971
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Schon das letzte Beispiel zeigte, welche Möglichkeiten in einer
gewissen Respektlosigkeit gegenüber der Fesselung stecken.
Hier wird noch ein Pfund draufgelegt: Obwohl die schwarze Dame fünf
Züge lang gefesselt bleibt, leitet sie während dessen
die Verfolgung des weißen Paschas. Bronstein nennt so etwas
den Angriff einer Schattenfigur. Da kann man nicht nur nichts gegen
sagen, nach 1. ... Tf4xf2+ 2.Kf1-e1 wird sogar deutlich,
wie er das meint.
2. ... Tf2-e2+ wäre allein der Deckung
der Dame zu verdanken, denn gegenüber dem gegnerischen Pascha
– und das ist Bronstein Botschaft – behält ein Fob seine Verteidigungsfähigkeit.
Da das Matt durch Tf8-f1 folgen würde, muss Weiß statt
Kf1-e1 2.Kf1-g1 spielen. Es folgt 2. ... Tf2-f1+ 3.Kg1-g2
Tf8-f2+ 4.Kg2-g3. Noch einmal zeigt die gefobte Dame ihre Muckis:
4. ... Tf2-f3+ 5.Se5xf3 Tf1xf3+ 6.Kg3-g2. Die anschließende
Dezimierungskampagne sichert den Punktgewinn durch den Übergang
in eine Landpartie: 6. ... Dh5xh3+ 7.De6xh3 Tf3xh3 8.Kg2xh3 Kh7-g8.
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