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3. Wir bauen noch eine Fesselung
In diesem Kapitel werden zwei weitere Instrumente
für den Fesselungsbau vorgestellt. Zuerst die Ablenkung, die
schon seit Jahrhunderten als taktisches Mittel bekannt ist. So empfahl
Ruy Lopez, der Patron der Spanischen Folter, wie irgendwer die Spanische
Eröffnung mal genannt hat, wahrscheinlich Savallas Tartakower, denn bei originellen Bemerkungen stimmt Tartakower fast
immer und selbst wenn er es nicht gesagt hat, dann hab ich mich
trotzdem in diesem Scheißsatz verlaufen. Am besten fang ich
noch mal an:
So empfahl Ruy Lopez in seinem 1561 erschienenen
Schachbuch, den Spielort so vorzubereiten, dass der Gegner durch
die Sonne geblendet wird. Aus heutiger Sicht ist dieser Trick natürlich
Kinderkram. Die modernen Schachpädagogen raten dazu, zum Zwecke
der Ablenkung einen Tausendfüßler auf a4 oder h4 zu zerquetschen,
je nachdem von welcher Seite abgelenkt werden soll.
Das letzte vorzustellende Instrument aus unserem
Werkzeugkasten ist die Ping-Pong-Lenkung, bei der eine Figur von
ihrem Feld erst weg- und dann wieder zurückgeschuppt wird.
Die ganze Schupperei bezweckt selbstverständlich nichts anderes,
als aus einer freien Figur ein Fob zu schnitzen. Spannt man dabei
zwischen den beiden Feldern ein Netz, dann leuchtet die Bezeichnung
Ping-Pong-Lenkung sofort und ohne weiteres, ja ich würde sogar
sagen ... warum auch nicht.
Wie bereits angedroht, tu ich jedoch mit
der Ablenkung beginnen. Springen wir also in unsere Zeitmaschinen,
legen den siebten oder zwölften Gang ein und machen im Jahr
1927 eine Vollbremsung. Gut gemacht. Ziehen Sie sich warm an, wir
erklimmen jetzt den Schachberg, denn auf seinem Gipfel ereignen
sich seltsame Dinge. Der Ex-Russe Aljechin und der Kubaner Glatzköpfchen
schieben einen zähen Kampf mit weißen und schwarzen Holzpüppchen
aus.
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Dia 24:
Capablanca - Aljechin
Buenos Aires WM 1927
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Glatzköpfchens Spieltaktik, in der ersten Partie des WM-Kampfes
den Ball flach zu halten, bescherte ihm nach 1. ... Sb4xc2
ein paar graue Haare. Durch die Ablenkung des Turms von der Deckung
des Feldes e1 samt zugehörigen Brüderchens ging ihm ein
Muchacho verloren: 2.Tc1xc2 Df5xf4 oder 2.Db3xc2 Df5xc2 3.Tc1xc2
Ld6xf4.
Die folgenden Kombis stellen das genaue Pendant
– weiß übrigens jemand nicht, was ein Pendant ist? Eigentlich
gehört das zur Allgemeinbildung. Sollte jedoch ein Unglücklicher
unter uns weilen (WEILEN!), der es zufällig nicht weiß,
dann ... bitte ich um einen Moment Geduld, ich schau eben im Duden
nach: ... P ... Pa ... Patzer ... Pe ... Penalty ... PEN-Club ...,
da ist es: Pen|dant das; {franz.} ([ergänzendes] Gegenstück;
veralt. für: Ohrgehänge). Alles klar? Prima.
Also nochmal: Die folgenden Kombis stellen
das genaue Ohrgehänge zu den Schuppern aus dem letzten Kapitel
dar. Hier geht es darum, eine Figur oder einen Bauern aus der Angriffsbahn
herauszulenken.
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Dia 25:
Hübner - Nunn
Johannesburg 1981
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Baby Hübner sorgte mit 1.De7xf8+ für ein bisschen
Ablenkung. Der Legende zufolge soll er nach 1. ... Lg7xf8 2.Le3-d4
die Partie dank qualitätsmäßiger Unterschiede sogar
gewonnen haben, und da Schachlegenden normalerweise ein Körnchen
Reis enthalten, kann man davon ausgehen, dass er zumindest nicht
verhungert ist.
Nach dem 2. Weltkrieg waren russische Großmütter
lange Zeit die meistgefürchteten der Welt. Das änderte
sich erst als Rotkäppchen Bobby vielen von ihnen schwere Brocken
zu knabbern gab und sie gleich reihenweise in den Brunnen plumpsen
ließ. Wie das nächste Beispiel zeigt, sind russische
Großmütter trotzdem stets gefährlich. Sie haben
viel durchgemacht und sehen deshalb manches mit anderen Augen als
Otto Normalspieler oder Ottilie Normalspielerin.
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Dia 26:
Kotschiew - Tukmakow
UdSSR 1972
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Großmutter
Kotschiew brauchte den kleinen Tuk nur anzusehen, um zu wissen,
was er angestellt hatte. Ein Vorschusswatschen würde ihn sicher
zum Reden bringen: 1.f6-f7+.
Der kleine Tuk war daraufhin ganz entrüstet.
Er sah ein, dass 1. ... Sd8xf7 2.Sf5-e7 matt und 1. ... Kg8xf7
2.Sf5xd6+ besser ungesagt blieben, doch 1. ... Se5xf7 sollte
die mangelnde Berechtigung des Watschens beweisen.
Russische Großmütter mögen
solche frechen Widerworte wie Bäcker ihren Wecker. Mit 2.Td1-e1
wurde der kleine Tuk kräftig zusammengestaucht. „Wie oft
hab ich dir schon gesagt, du sollst auf deine Schwester aufpassen?“,
schrie ihn seine Großmutter an.
Ganz verdattert suchte der Junge nach einer
Ausrede, aber bei 2. ... De4-c6 würde ihn GM Kotschiew mit
der matten Gabel auf e7 piken und andere Möglichkeiten, den
Schwachpunkt e8 abzudecken, ohne zugeben zu müssen, dass er
seine Schwester auf e4 vernachlässigt hatte, gab es nicht.
Der kleine Tuk heulte und quengelte noch ein paar Züge 2.
... De4xe1 3.Dg3xe1 Sf7-e5 4.De1-g3, nur es half nichts, die
Schwester blieb verschwunden.
Wenn Kombinationen wie Kneipen heißen
würden, dann hätte sich die letzte Ablenkungskombi den
Namen „Zum Henker“ redlich verdient.
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Dia 27:
Dieks - Lindblom
Groningen 1973/74
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Der Henker hat ganze Arbeit geleistet. Gut verschnürt liegt
der König auf g1, und das Fallbeil ist mächtig scharf
drauf, von f3 nach h1 runterzufallen. Doch plötzlich Lärm
und Tumult im Hintergrund. Ein berittener Bote erscheint 1. Sg4xe5+
und lenkt die Aufmerksamkeit einiger Anwesender ab 1. ... f6xe5.
Der Henker verzieht unter der schwarzen Kapuze enttäuscht das
Gesicht. Er ahnt schon was kommt. Tatsächlich, eine Begnadigung
in letzter Sekunde 2.Lf2xc5.
"„Soll ich nicht doch schon ein bisschen
hinrichten“, fragt der Henker mit einem kleinen Hoffnungsschimmer
2. ... Tc2xc5. Vielleicht läge ja ein Irrtum vor.
„Nein!“, schmettert ihm die Queen
persönlich entgegen 3.Dh3-h5+, und dem Henker bleibt
nichts anderes übrig als mosernd seine Instrumente zusammenzupacken.
Nun wird’s aber Zeit für Ping-Pong.
Übrigens ist der Ping-Ponger vom nächsten Dia gebürtiger
Neuseeländer. Haben Sie eine Ahnung mit welchem Spitznamen
sich Neuseeländer in der ganzen Welt herumschlagen müssen?
Oder anders gefragt: Für welche Kiwi ist Neuseeland beson...
Vergessen Sie's.
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Dia 28:
Filguth - Chandler
Schacholympiade Dubai 1986
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Die beste schachspielende
Kiwi aller Zeiten zog 1. ... g4-g3 und danach es in der weißen
Stellung und Filguth es nach Hause. 2.f2xg3 Dh3xh2+ 3.Kh1xh2 Te5-h5
wäre zwar sehr matt, hätte allerdings auch sehr wenig
mit Ping-Pong zu tun. 2.Tg1xg3 ist die Ablenkung, der mittels 2.
... Te5-e1+ die Hinlenkung 3.Tg3-g1 folgen würde. Damit wäre
der Turm ziemlich gepingpongt, ziemlich gefesselt und der König
nach 3. ... Dh3-g2 ziemlich matt. Sehr schön, aber ziemlich
einfach.
Das letzte Beispiel ist aus bayrischer Produktion,
und an welche Obstsorte denken Sie beim Stichwort Bayern?
Richtig. Es folgt also ein Kombi-Knödel
aus Bayern.
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Dia 29:
Pirrot - Hertneck
Bundesliga 1989/90
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Als Garry Hertneck
1. ... Lc8-g4 zog, hatte er etwas im Auge. Es war jedoch
weder ein Dorn noch eine Tüte Marzipankartoffeln, sondern das
Motiv einer Ping-Pong-Lenkung. Da 2.f3xg4 nur was für Entfesselungskünstler
gewesen wäre, zudem erschröcklich eindeutig Lg4xf3+ droht,
blieb nichts anderes als übers Netz zu hoppeln: 2.Tg1xg4
Df2-f1+ 3.Tg4-g1. Dank der Netzattacke war der Turm für
eine Nanosekunde gefesselt. Das reichte, um die Lebenserwartung
des weißen Eckenkönigs auf die eines Igels zu reduzieren,
der einen Verdauungsspaziergang über die Autobahn macht: 3.
... Sh5-g3+ 4.h2xg3 Df1-h3 Schachplatt.
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