7. Richard Brautigan zeigt Kino im Kopf

 
 
Reading ... (The Hawkline Monster)
is like watching a movie
you believe it as long as it happening.
Bruce Cook
1
Sie kauerten mit ihren Gewehren in dem Ananasfeld und beobachteten, wie ein Mann seinem Sohn das Reiten beibrachte. Es war Sommer 1902 auf Hawaii.
Sie hatten schon lange nichts mehr gesagt. Sie kauerten einfach da und beobachteten den Mann und den Jungen und das Pferd. Was sie sahen, machte sie nicht glücklich.
»Ich kann nichts tun«, sagte Greer.
»Er ist schon ein Schweinehund«, sagte Cameron.
»Ich kann doch einen Mann nicht erschießen, der gerade seinem Sohn das Reiten beibringt«, sagte Greer. »Ich bin nicht so gemacht.«
 
2
Einer der Loganbrüder saß in einem Sessel und trank eine Dose Bier. Der zweite lag auf dem Bett in dem billigen Hotelzimmer und las ein Comicheft. Von Zeit zu Zeit lachte er laut auf. Die verschlissene Tapete sah aus wie die Haut einer Schlange. Sein Lachen klapperte von den Wänden zurück.
Der dritte Bruder ging im Zimmer auf und ab, was allein schon ein Kunststück war, weil das Zimmer so klein war. Er war empört, daß sein Bruder über das Comicheft lachte. Er fand, sein Bruder sollte seine Zeit nicht mit so liederlichen Zeug verschwenden.
»Wo sind denn bloß diese gottverdammten Bowlingtrophäen?« rief er.
Der Loganbruder auf dem Bett ließ vor Überraschung sein Comicheft fallen, und der andere, der Bier trank, hielt die Dose mitten auf dem Weg zu seinem Mund an und verwandelte sie in die Statue einer Bierdose.
Sie starrten ihren Bruder an, der immer noch das Unmögliche tat und in dem winzigen Zimmer auf und ab ging.
 
3
»Das ist eine Tatwaffe«, sagte Rink und ließ den Brieföffner auf den Schreibtisch fallen. »Das Ding hat heute morgen im Rücken einer Prostituierten gesteckt. Keine Spuren. Nur ihre Leiche in einem Hauseingang und das hier.«
»Der Mörder war wahrscheinlich ein bißchen durcheinander«, sagte ich. »Jemand hätte ihn in einen Schreibwarenladen bringen und ihm den Unterschied zwischen einem Briefumschlag und einer Nutte erklären sollen.«
»Das Hawkline Monster« (1) ist 1974 der erste neue Roman nach dem Bestseller »Trout Fishing«, denn »Die Abtreibung« gehört noch zu der Reihe, die bis 1966 durch den Options-Vertrag mit Grove Press entstanden ist.
Der Originaluntertitel »A Gothic Western« zeigt, wo es für Richard Brautigan in den 70ern lang geht. Er durchkämmt die Unterhaltungsliteratur, schreibt Bücher wie B-Movies, Bücher, nach denen man problemlos Comic Strips zeichnen kann. Solche Bücher passen allerdings nicht in das Medienbild von der literarischen Stimme der Hippie-Generation.
 
1
Miss Hawkline saß nackt auf dem Fußboden eines Zimmers, das voller Musikinstrumente und Petroleumlampen war, die nur ganz schwach brannten. Miss Hawkline saß neben einem Cembalo. Auf den Tasten des Cembalos lag ein ganz ungewöhnliches Licht, und das Licht warf einen Schatten.
Draußen heulten Koyoten.
Das Licht der Lampen warf die verzerrten Schatten von Musikinstrumenten auf den Körper Miss Hawklines, auf dem sie exotische Muster bildeten, und im Kamin brannte ein großes Holzfeuer. Das Feuer sprengte fast alle Proportionen, aber es mußte sehr groß sein, weil das Haus sehr kalt war.
Es klopfte an der Tür.
 
2
John sperrte die Wohnzimmertür auf, und Pat ging an ihm vorbei ins Zimmer. Der dunkle Umriß Willards hob sich wie der Umriß einer Zwergpalme von der Wand ab, und die Bowlingtrophäen schimmerten in ihrem religiösen Licht.
Das Klick des Lichtschalters verhalf von einem Augenblick zum andern Willard und den Trophäen zu ihrer vollen Gegenwart, und sie erstrahlten in ihrer ganzen Pracht.
Willard sah merkwürdig aus. Manchmal änderte sich der Ausdruck seines Gesichts. Er war sehr geschickt und kunstvoll gemacht.
»Grüß dich, Willard«, sagte Pat. »Greta Garbo hätte dir sehr gut gefallen. Hey, wir hätten Willard mitnehmen sollen; dann hätte er sich Greta Garbo ansehen können.«
»Willard und seine Bowlingtrophäen« (2) aus dem Jahr 1975 ist ein sehr vielseitiges Buch. Es ist visuell, komisch, virtuos, traurig, kritisch und es hat einen wahren Kern. Willard und seine Bowlingtrophäen sind keine Erfindung von Richard Brautigan. Willard ist ein Vogel aus Pappmaché des Künstlers Stanley Fullerton, den sich in einer Art Spiel Richard Brautigan und sein langjähriger Freund Price Dunn gegenseitig zur Aufbewahrung unterschieben (Abbott, S.17). Die Sammlung von Bowlingtrophäen gehört ebenfalls Price Dunn.
Auch kennt Richard Brautigan jemanden, der die Griechische Anthologie besitzt, für die sich die traurigste Gestalt des Buches so begeistert: Er selbst besitzt diese Sammlung alter griechischer Gedichte und Fragmente.
 
3
»Ich möchte, daß Sie aus dem Leichenschauhaus eine Leiche stehlen.«
Sonst sagte sie nichts.
Sie hatte sehr blaue Augen. Sogar im Halbdunkel des Wagens war das Blau ihrer Augen leicht zu sehen. Ihre Augen blickten mich unverwandt an. Sie warteten auf eine Reaktion von mir. ...
»Klar«, sagte ich. »Wenn das Geld stimmt, leg ich Ihnen morgen auch Abraham Lincolns Leiche zusammen mit der Morgenzeitung vor die Haustür.«
Das war genau das, was sie hören wollte. ...
»Wie finden Sie denn tausend Dollar?« fragte sie.
»Für tausend Dollar«, sagte ich, »bring ich Ihnen einen ganzen Friedhof.«
»Träume von Babylon« (3) ist 1977 das letzte Spiel Richard Brautigans mit der Unterhaltungsliteratur. Diese Privatdetektiv-Parodie bietet wahrscheinlich den kaputtesten aller kaputten Privatdetektivfiguren. Seinen literarischen Ruf hat er damit sicher nicht wiederhergestellt. Keith Abbott zitiert aus einer Kritik »... this ramshackle mass of bad jokes, stupid ideas, and plain nonsense.« (S.74).
Die 70er Jahre laufen für Richard Brautigan nicht gut. Er bietet nicht das, was man von ihm nach »Trout Fishing« erwartet hat. Er schreibt komische Bücher, was dazu führt, dass niemand ihn mehr ernst nimmt, selbst im Krieg nicht ...
Weiter mit der achten Erdbeere: Richard Brautigan zieht in den Krieg